Wusste mit drei, was ich werden will

Zeitungsartikel vom Freien Wort am Dienstag. 25.Juli 2023 Seite 3 von Jolf Schneider

SONNEBERG. Sina Martin ist mit Teddybären aufgewachsen. Nein, nicht so, wie das andere Kinder tun, die zwei oder drei Stofftiere in ihrem Bett oder im Regal ihres Kinderzimmers sitzen haben. In Sina Martins Elternhaus in Sonneberg sind die Plüschtiere allgegenwärtig, prägen die Bären seit vier Generationen die Familie. Sina Martin ist Geschäftsführerin der Martin Bären GmbH in Sonneberg. Ein Unternehmen mit fast 100 Jahren Tradition. „Meine Ururgroßeltern haben die Firma gegründet, meine Eltern haben sie nach der Wiedervereinigung wieder privatisiert“, erzählt die junge Frau, die fast immer lächelt, wenn sie über ihre Bären spricht. Auch jetzt sind sie allgegenwärtig, hier im Bärenzimmer im hinteren Teil der Geschäftsräume. Auf dem Tisch liegen noch ein paar Utensilien, die man für die Herstellung von Teddybären braucht. „Vorhin hatten wir eine Kindergruppe zu Besuch und haben mit ihnen Teddybären gebastelt“, erzählt Sina Martin und ihre Augen leuchten dabei. Sie nimmt eines der Holzwerkzeuge in die Hand. „Ein Stopfholz, mit dem man die Füllung in die einzelnen Teile des Bären stopft“, erklärt sie.

Sina Martin war acht Jahre alt, als ihre Oma ihr gezeigt hat, wie Teddybären in Handarbeit hergestellt werden. Sie ist Jahrgang 1989. Ein Wendekind. Aus Erzählungen kennt sie die Geschichte, wie ihre Großeltern ihr Unternehmen hergeben mussten, wie aus dem Familienbetrieb in der DDR ein Teil des Kombinats wurde. Ihre Großeltern wurden von Unternehmern zu Angestellten, zuständig für die Lehrlingsausbildung und den For- menbau. Sina Martin hat miterlebt, wie ihre Eltern den Familienbetrieb wieder privatisiert haben. Mit allen Höhen und Tiefen. „Als mein Vater im Teleshopping unsere Bären verkauft hat, da war ich mit im Studio, stand hinter der Kamera“, erzählt sie. Bis zu 35 Mitarbeiter hatte das Unternehmen damals. Doch dann kamen auch die Tiefen. Und trotzdem wollte Sina Martin nie etwas anderes machen als Teddybären. „Schon mit drei Jahren im Kindergarten habe ich gesagt, dass ich das Unternehmen meiner Eltern übernehmen möchte.“ Und das hat sie getan. Allerdings ist sie nicht den klassischen Weg gegangen. Hat nicht Spielzeugmacherin gelernt. „Ich wollte die kaufmännischen Hintergründe verstehen, die wirtschaftlichen Abläufe“, begründet sie ihre Entscheidung für ein Studium. Wirtschaftsinformatik in Ilmenau. Mit diesem Abschluss stünden ihr eigentlich die Türen der Unternehmen in aller Welt offen. Optimierung von Produktionsprozessen, Skalierbarkeit von Abläufen. Wirtschaftsinformatiker sind gefragt. Doch Sina Martin blieb sich treu. „Und ich bereue es keinen einzigen Tag“, versichert sie.

Die Freude, die sie und ihre Mitarbeiterinnen den Menschen bereiten, bedeute ihr so viel mehr als ein vermeintliches Spitzeneinkommen in einem großen Unternehmen, außerdem hat sie eine Mission. Sina Martin möchte die Tradition der Spielzeugstadt, die Tradition von Martin Bären in die Zukunft führen. Sie will, dass es mehr Orte in der Stadt gibt, die sind wie der eigene Firmensitz. Orte, an denen in jedem Zimmer, in jedem Winkel die Spielzeuggeschichte der Stadt zu finden ist. Orte, die die Tradition der Stadt atmen, sie weitergeben an die Menschen. Deshalb gehört sie zu den Gründungsmitgliedern des Sonneberger Spielzeug-Vereins und ist dessen Vorsitzende. „Wir haben mit dem Spielzeugmuseum und einigen anderen Orten schon einen guten Anfang, doch ich bin überzeugt, dass da noch mehr geht“, sagt sie selbstbewusst. Die Geschichte der Spielzeugstadt und der Glasbläser aus Lauscha fasziniere sie. Wie die Menschen sich damals in Sonneberg zusammengetan hätten, um ihre Produkte in alle Welt zu vermarkten. „15 Kaufhäuser gab es einmal in Sonneberg. Unglaublich. Da wäre ich gerne einmal Mäuschen in der Zeit.“ Oder Teddybär.

Im ersten Stock, den Martin Bären zu einem Museum ausgebaut hat, steht die Ahnengalerie. Nachbauten der ersten Bären, die ihre Urgroßeltern hergestellt haben. Fünf Zimmer, in denen sich alles um Bären dreht. Bären sitzen in einer Werkstatt und zeigen den Besuchern, wie sie selbst hergestellt werden. Bären in Landschaften und auf Piratenschiffen. „Das hat meine Oma gemacht“, erzählt Sina Martin stolz. An einem großen Tisch sitzen fünf Bären und spielen Poker. „Das Mafia-Zimmer. Nur die Bären kennen die Regeln.“ Unten im Laden sitzt in einem eigens angebauten Erker der größte Teddybär der Welt. Handgefertigt. Er lässt die Geschäftsräume ein wenig wie eine Puppenstube wirken. Auf halber Treppe soll die Werkstatt in den kommenden Monaten zur Schauwerkstatt umgebaut werden. Dann können Kunden und Gäste den drei Mitarbeiterinnen bei der Arbeit über die Schulter schauen.

Sina Martin sitzt nicht mit in der Werkstatt. Manchmal, so sagt sie, überlege sie, ob sie doch noch Spielzeugmacherin lernen soll. Doch eigentlich sei so alles gut. Sie kümmert sich um die Zahlen und alle gemeinsam brüten sie über kreativen Ideen. Bei Martin Bären entwerfen die Spielzeugmacher die Bären selbst. Das sei ein Unterschied zu früher, als die Spielzeugmacher nur die Entwürfe von Designern umsetzen konnten. „Bei uns bringt jeder seine Ideen ein und kann sie dann direkt umsetzen“, sagt Sina Martin. Das sei sehr motivierend. Und trotz ihres Hochschulabschlusses, trotz der Einstufung des Unternehmens als Industriebetrieb, sieht Sina Martin sich und das was ihr Unternehmen tut als Handwerk. Ist deshalb ganz begeistert, dass diese Zeitung das Handwerk einmal ins Rampenlicht stellen möchte. Ihre Mitarbeiterinnen und sie merken das fast jedes Mal, wenn Kindergruppen bei ihnen zu Besuch sind: Handarbeit trauen sich viele Kinder gar nicht mehr zu. „Wir ermuntern sie dann, die Nähnadel in die Hand zu nehmen, sich zu trauen, mit Nadel und Faden, mit den eigenen Händen etwas herzustellen. Und in den allermeisten Fällen würden die Kinder dann ganz überrascht entdecken, welche Fertigkeiten in ihnen schlummern.

Drei Standbeine hat das Unternehmen inzwischen. Da ist zum einen der klassische Verkauf von Teddybären. Das meiste läuft dabei heute über das Internet. Hauptsaison ist die Weihnachtszeit. Für das Geschäft zum Jahresende wird auch die Produktion hochgefahren. „Dann könnte ich leicht noch drei Mitarbeiter mehr beschäftigen“, sagt Sina Martin. Doch von einer Massenproduktion ist Martin Bären auch dann noch weit entfernt. „Wir haben die Regel, dass die Mitarbeiterinnen nicht mehr als vier oder fünf Mal den gleichen Bären hintereinander herstellen. Dann wechseln sie das Modell“, erzählt die Unternehmerin. Die Abwechslung sorge dafür, dass sich keine Langeweile einschleiche, dass die Bären immer die ganz persönliche Note der Mitarbeiterin bekommen. Sina Martin nennt es Leben einhauchen. Das zweite Standbein sind die Teddybären-Kurse, zu den Kindergruppen aber auch Erwachsene kommen und ihren eigenen Bären herstellen können. „Das wird gut angenommen“, sagt Martin. In der Urlaubszeit füllt sich zudem der Laden. Touristen kommen vorbei und staunen. Und natürlich greifen die meisten auch zu und nehmen ihren Martin Bären mit als Erinnerung. Ganz neu ist das dritte Standbein. „Wir stellen Stoffwindeln her“, erzählt Sina Martin. In den Regalen liegen bunte Windelhöschen mit Druckknöpfen an der Seite. Alle in der Bären-Werkstatt genäht. In diese Höschen kommt dann ein Einsatz aus Wolle, der gewaschen und wiederverwendet werden kann. Was klingt wie eine Idee für ein Szeneviertel in Berlin, funktioniert laut Sina Martin auch in Sonneberg. Doch die Unternehmerin räumt ein, dass sie die Stoffwindeln – wie auch die Bären – deutschlandweit übers Internet verkauft. Und wer für sein Baby in Sonneberg Windeln bestellt hat, der bestellt vielleicht etwas später auch einen Teddy – und sorgt so mit dafür, dass die Welt der Teddybären von Generation zu Generation weiter wächst.

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