An der Wiege der Kuschelbären

Sonneberg. Seine Augen – so groß, rund, lieblich! Voller Wohlgefallen blickt Martin aus dem Panoramafenster hinaus auf die Ladenstraße in Sonne- berg. Martin ist der größte Stoffbär der Welt, mit 5,40 Meter Stehhöhe. Vor einem Vierteljahrhundert hat ihn Rai- ner Martin hier geschaffen, in seiner Teddybären-Werkstatt.

Das 700-Kilo-Plüschtier verkörpert die große Spielzeug-Tradition Sonnebergs. Sogar als „Welthaupt- stadt des Spielzeugs“ galt der Ort am südwestlichen Zipfel Thüringens mal. 20 Prozent der weltweiten Produktion kamen von hier. Das war gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Handwerkskunst für Liebhaber

Die Herstellung im großen Stil ha- ben inzwischen längst Billiganbieter aus Fernost übernommen. Doch im Thürin- gisch-Fränkischen hat sich bis heute ein bemerkenswertes Branchencluster gehalten: Mit viel Herzblut und Hand- werkskunst fertigt hier rund ein Dutzend Betriebe hochwertige Puppen, Teddys und andere Spielwaren für Kunden, die das Besondere lieben.

Es ist nur ein kleiner Schritt durch die grün lackierte Holztür ins Ladenlo- kal der Firma Martin Bären. Und doch betritt man eine andere Welt: Hunderte Teddys füllen die Regale. Neben Martin, dem Riesen, räkelt sich hier der kleinste Stoffbär der Welt in seiner Wiege. Zu entdecken ist er nur mit einem Vergrö- ßerungsglas. Gesellschaft leisten ihm

Piratenbären mit Holzbein, Schornstein- feger, Köche, Kartenzocker und natürlich hellbraune Klassiker mit Mohair-Fell.

Neuen Ideen für die Zukunft

„Die meisten Bären werden von Sammlern erworben“, berichtet Sina Martin. Die 33-Jährige führt den Famili- enbetrieb in der fünften Generation. Der Käuferkreis sei zwar klein, aber stabil. „Doch die Kundschaft altert“, blickt die Firmenchefin in die Zukunft. Um mehr Jüngere anzusprechen, bietet sie Work- shops in Schulen und Kitas an, lädt ins hauseigene Bärenmuseum ein.

Wir wollen die Spielzeug- begeisterung wieder neu entfachen

Sina Martin, Chefin Martin Bären

 

Zusätzlich hat Martin ein neues Standbein aufgebaut: Unter dem Namen „Bärenkind“ werden handgefertigte Wollwindeln und Kinderkleidung ange- boten. „Die Sachen sind gefragt“, freut sich Sina Martin. Und so sind die Chancen gut, dass ihr Traditionsbetrieb mit seinen sechs Mitarbeitern im Jahr 2024 das 100-jährige Jubiläum feiern kann.

Was heute oft fehlt, sind gute Mitarbeiter

Einen ganz anderen Verlauf nahm die Geschichte von Plüti: Hartmut Volkmar und seine Frau Cornelia hatten das alte Familienunternehmen nach der Wende übernommen und zunächst zu neuer Blüte geführt. Bis zu 100 Mitarbeiter entwarfen, nähten und stopften hier in den 90er Jahren Zehntausende Stofftiere, auch für Handelsketten. „Da ratterten die Maschinen“, erinnert sich der 70-Jährige. Die Lebensjahre merkt man ihm nicht an – sie hält wohl jung, die Spielzeugwelt. Trotzdem, seit Ende 2021 ruht die Produktion. Leben herrscht in den Betriebshallen seither nur noch bei Betriebsbesichtigungen, Bastelaktionen und im liebevoll eingerichteten Büro des Weihnachtsmanns. „Ich will zwar weitermachen. Doch wir finden keine Mitarbeiter mehr, die unser Handwerk fortführen. Das ist unser Hauptproblem“, sagt Volkmar.

Zu den Glanzzeiten vor dem Ersten Weltkrieg gab es in der Spielzeugstadt noch über 2.000 Kleinstmanufakturen mit rund 30.000 Beschäftigten. Betriebe, die sich über die beiden Kriege hinweg retten konnten, fielen dann der Ver- staatlichung durch die DDR zum Opfer.

Qualität und Marketing stimmten nicht mehr.

Nach der Wende waren es dann vor allem Privatiers, die an die Zukunft der Spielwaren-Herstellung in Sonneberg glaubten – darunter René F. Wilfer und seine Frau Ortrun: Sie übernahmen 1992 Piko und brachten das Unternehmen wieder auf Erfolgskurs. Der Modellbahn- hersteller gilt heute als drittgrößter in Zentraleuropa und zielt auf Platz zwei.

„Made in Germany“ hat treue Freunde

Für Zugkraft sorgen nicht zuletzt die rund 400 Neuheiten pro Jahr – ori- ginalgetreue Lokomotiven, Triebzüge, Personen- und Güterwagen, Gebäude- modelle, Gleise und vieles mehr. Gartenbahnen (Spur G) werden von 170 Be- schäftigten am Firmensitz Sonneberg

gebaut. „Viel geht nach Nordamerika, wo ,made in Germany‘ ganz wichtig ist“, erläutert Vertriebschef Jens Beyer. Die kleineren Spuren HO, TT und N fertigen 420 Mitarbeiter im südchinesischen Chashan. Spürte auch Piko die weltwei- ten Lieferengpässe der letzten Jahre? Zeitweise waren Transportkosten und -dauer deutlich höher, nickt Beyer. Doch nun habe sich die Lage entspannt. „Und wir waren immer lieferfähig, auch dank unseres Hochregallagers mit weit über 20.000 Loks und Wagen.“

Bald soll auch die ganze Spiel- zeugstadt Sonneberg wieder mehr Fahrt aufnehmen. Dafür macht sich der neue Spielzeugverein stark. Als ein erstes sichtbares Zeichen ihres Wirkens wollen die Akteure aus Wirtschaft und Kommune die Eisenbahnstation umbauen: zum „Spielzeugbahnhof“.

STEPHAN HOCHREBE

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